Stellungnahme zu den neuen Sanktionen bei der Auftragsvermittlung
Mit Wirkung vom 11.04.2012 hat der Taxi-Ruf „Veränderte Sanktionsmaßnahmen bei der Auftragsvermittlung“ (Überschrift im Newsletter des Taxi-Ruf) eingeführt. Da diese Neuerungen erhebliche Konsequenzen für alle Kolleginnen und Kollegen haben, können diese nicht unkommentiert bleiben. Die IG Bremer Taxifahrer sieht sich deshalb zu einer kritischen Betrachtung der vom Taxi-Ruf vorgetragenen Argumentation zur Legitimierung der Sanktionen veranlasst.
1. Sperre bei Ablehnen, Durchlaufenlassen oder Zurückgeben eines Auftrags
Zunächst sollte ein Gedanke auf das Prinzip unserer Arbeitsweise gerichtet werden. Entgegen der Praktiken beinahe aller Branchen müssen wir als Taxifahrer unsere Aufträge selber beschaffen. Es ist uns überlassen, auf welche Weise wir unseren Umsatz generieren; ob wir Funkaufträge fahren, auf Einsteiger warten, Eigenwerbung betreiben zum Aufbau eines Kundenstammes: niemand interessiert sich dafür, wie der Umsatz erzielt wird.
Man stelle sich vor, ein Handwerksmeister würde seinem Gesellen sagen, „wenn du arbeiten und Geld verdienen willst, dann besorge dir deine Aufträge selbst.....und am Monatsende sehen wir dann, was für dich dabei heraus kommt.“
Undenkbar. Von uns wird aber genau das erwartet. Wir werden für unsere Leistung (=Umsatz) und nicht für unsere Anwesenheit (=Arbeitszeit) bezahlt !
Nun, dann sind wir eben konsequent und entscheiden eigenverantwortlich darüber, ob wir eine angebotene Tour fahren wollen oder nicht, wo wir auf eine Tour warten und wann wir eine Fahrt übernehmen. Im übrigen ist die Zahl der, Zitat: unattraktiven Funktouren überschaubar und nicht jede/r Fahrer/in kennt jede dieser Touren. Im Einzelfall mag es hin und wieder vorkommen, das eine Tour wiederholt vermittelt werden muss, aber aufgrund der überwiegend hohen Dichte an Taxenplätzen entsteht der Kundschaft, wenn überhaupt, kein nennenswerter Zeitverlust.
Bei zeitkritischen Aufträgen mit Vorbestellungs-Zeit lehnt ohnehin kaum ein/e Kollege/in eine Fahrt ab, da er/sie sich ja gerade wegen der Vorbestellung am Halteplatz befindet. Bei den aktuell langen Standzeiten wird kaum jemand eine Sperre in Kauf nehmen, zumal man bei erneuter Anmeldung am Halteplatz die letzte Position einnimmt und wieder eine lange Wartezeit riskiert.
Bzgl. des Verhaltens an den Plätzen Walliser, Huchting und LDW verfügt der Taxi-Ruf offenbar über keine gesicherten Erkenntnisse, denn im Newsletter heißt es „scheint es an der Tagesordnung zu sein, dass sich alle Kollegen im Kollektiv abmelden“. Wohlgemerkt: scheint ! Hier wird demnach mit Mutmaßungen argumentiert statt mit Fakten. Der Taxi-Ruf wäre gut beraten, sich nicht auf fragwürdige, weil nicht genannte Quellen zu verlassen und stattdessen überprüfbare Ergebnisse vorzulegen. Insofern ist das Argument der „längeren Wartezeiten“ (O-Ton Newsletter) für die Kunden nicht stichhaltig.
Bei den angedrohten und inzwischen bereits verhängten Sanktionen lässt der Taxi-Ruf jegliches Gespür für die Verhältnismäßigkeit vermissen. Abgesehen davon, dass es fragwürdig ist, ob der Taxi-Ruf berechtigt ist, derart drastische Maßnahmen zur Disziplinierung der Fahrer/innen zu ergreifen, stellen diese Sanktionen eine erhebliche Einschränkung der Möglichkeit zur Beschaffung der zur Existenzsicherung notwendigen finanziellen Mittel dar. Es darf bezweifelt werden, dass diese Form der Bestrafung einer juristischen Überprüfung standhält.
Offensichtlich haben die Entscheidungsträger beim Taxi-Ruf den Kontakt zur Basis(-arbeit), nämlich die Arbeit (und das stundenlange Warten) auf der Straße, gänzlich verloren. Wie sonst ist zu erklären, dass einem/er Fahrer/in bei dreimaligem „Verstoß“ gegen die neuen Regelungen innerhalb von 24 Stunden die Teilnahme an der Funkvermittlung für mindestens 100 Minuten verweigert wird.
Blicken wir doch einmal auf die Praxis. Schon in der regulären Schichtzeit von 12 Stunden können leicht drei „Verstöße“ zusammen kommen:
Fall 1:
Im Verlauf der Schicht muss der/die Fahrer/in einem menschlichen Bedürfnis nachgehen. Leider sind nicht überall entsprechende Einrichtungen an den Halteplätzen vorhanden oder in kurzer Distanz zu erreichen, so dass auch schon mal ein mehrminütiger Weg zurückgelegt werden muss. Erschwerend kann hinzukommen, dass die Örtlichkeit gerade besetzt ist, woraus sich eine zusätzliche Verzögerung bis zur Rückkehr an den Halteplatz ergibt. Zufällig ereilt nun das eigene Fahrzeug genau in diesem Moment ein Fahrauftrag. Die Folge ist eine 10-minütige Sperre.
Fall 2:
Die Sperrzeit ist inzwischen verstrichen. Im selben Moment, in dem Einsteiger die Taxe benutzen wollen, geht ein Fahrauftrag ein. Man gibt die Tour zurück, weil man a) die Anfahrt spart und b) der nächste Kollege in den Genuss der zurückgegeben Tour kommt. Somit haben zwei Taxen einen Vorteil. Trotzdem wird der erste Kollege mit 30 Minuten Sperre belegt, was ihn trotz der gerade absolvierten Fahrt benachteiligt, da die Sperre auch nach Beendigung der Tour noch wirkt.
Fall 3:
Nach Ablauf der Sperrfrist und Wiederanmeldung am Halteplatz, ergibt sich die Situation, dass ein Passant um eine Auskunft bittet. Dazu ist es in diesem Fall erforderlich, das Taxi zu verlassen, um dem Passanten die Gegebenheiten besser zeigen zu können. Genau zu diesem Zeitpunkt wird ein Fahrauftrag angeboten, der jedoch wg. der kurzfristigen Abwesenheit des Fahrers in Unkenntnis des eingehenden Auftrags nicht angenommen wird. Pech gehabt: 60 Minuten gesperrt. Der Fahrer wird für seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bestraft !
Macht zusammen 100 Minuten ! Eine Zeit, in der man von der Funkvermittlung und damit von Einkommensmöglichkeiten ausgeschlossen ist, denn nicht jeder Taxenplatz wird auch von Einsteigern gut frequentiert. Was folgt, ist die Suche nach einem vorwiegend von Einsteigern aufgesuchten Halteplatz, der aber nicht zu zahlreich von Taxen belegt sein sollte, weil sonst die zu erwartende Standzeit die Suche sinnlos macht.
Auch wenn manch ein Leser zum Schmunzeln angeregt wurde:
Diese Beispiele stammen aus der Praxis und sind nicht konstruiert. Sie zeigen, dass jeder ungewollt und durch widrige Umstände unverschuldet in Situationen kommen kann, die für ihn unvorhersehbar sind und dennoch eine Sperre von 100 Minuten und mehr nach sich ziehen können. In keinem der geschilderten Fälle wurde der Fahrauftrag aus taktischem Kalkül abgelehnt. Es ist also generell in keinem Fall gerechtfertigt, Sanktionen dieser Art zu verhängen.
Selbst wenn es einige Fahrer gibt, die aus Berechnung die Annahme oder Ausführung eines Fahrauftrages verweigern, kann man nicht die überwiegend korrekt arbeitende Mehrheit der Kollegen mit derartigen Methoden unter einen Generalverdacht stellen und mit Sanktionen bedrohen und diese auch anwenden.
2. Keine Pause mehr an erster Position am Halteplatz
Diese „Errungenschaft“ ist ebenfalls ein schönes Beispiel für die der Praxis entrückten Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat.
Das erste Beispiel im vorigen Abschnitt für die 10-Minuten-Sperre findet hier genauso Anwendung. Man wird wegen eines unwillkürlichen menschliches Bedürfnisses gesperrt. Es ist vergleichbar mit einer inzwischen revidierten Rechtsauffassung von Gerichten, wonach ein Autofahrer schadenersatzpflichtig ist und die Kfz-Versicherung ihren Versicherungsnehmer in Regress nehmen kann, weil er grob fahrlässig handelt, wenn er während der Fahrt niesen muss und deshalb mit seinem Fahrzeug einen Unfall verursacht !
Man hat mittlerweile anerkannt, das Niesen ein unkontrollierbarer menschlicher Vorgang ist und deshalb auch keine grobe Fahrlässigkeit unterstellt werden kann. Bei dem zuvor geschilderten Fall der dringenden Verrichtung der Notdurft verhält es sich analog.
Was bei der Zwei-Minuten-Sperre wg. Pause an der ersten Position auffällt, ist die fehlende Begründung für diese Sanktion. Während im ersten Abschnitt des Newsletter noch der klägliche Versuch unternommen wird, eine Erklärung für die eingeführten Maßnahmen zu liefern, verzichtet man hier völlig darauf. Offensichtlich gibt es dafür auch keine rationalen Argumente.
Im Gegensatz dazu gibt es aber einen gewichtigen Grund für die Pause an der ersten Position (der Verfasser spricht dabei aus eigener Erfahrung):
Man wartet bereits seit 2-3 Std. am Halteplatz und hat die erste Position. Endlich erscheint eine VB. Man wähnt sich in der trügerischen Sicherheit, diese Tour endlich zu bekommen. Doch plötzlich, zwei Minuten vor der VB-Zeit, erhält man eine fingierte Tour. Man fährt zu der übermittelten Adresse und stellt fest, dass der angegebene Name nicht existiert. Auf Nachfrage bei der Zentrale erfährt man, dass die Bestellung der Fahrt ohne Einblendung der Rufnummer des Anrufers erfolgte, eine Nachfrage beim Besteller also nicht möglich ist. Folge: Fehlfahrt ! Inzwischen ist die VB-Zeit längst überschritten, die VB wurde an ein anderes Taxi vermittelt und da an vielen Halteplätzen häufig nur eine VB erscheint, ist ungewiss, wie lange man auf seine Ausgleichsfahrt warten muss. Nicht selten ist das Ende der Schicht erreicht, ohne dass man noch Ersatz bekommen hat.
Schaltet man sich also an der ersten Position auf Pause, um dieses Risiko auszuschalten, bekommt man eine Zwei-Minuten-Sperre für Frei- und Halteplatz-Anmeldungen mit der Folge, nach der erneuten Anmeldung am Platz die letzte Position zu haben, was einen Verbleib an diesem Platz unattraktiv machen kann.
Dieser Fall zeigt, dass die Pausenschaltung an der ersten Position durchaus ihre Berechtigung bzw. ihren Sinn hat, nämlich sich vor solchen „virtuellen“ Touren zu schützen. Es wird anerkannt, dass jede noch so gut gemeinte Freiheit auch missbraucht werden kann, jedoch muss eine objektive Abwägung über die Verhältnismäßigkeit und die Auswirkungen der vorgesehenen Sanktionen erfolgen, damit nicht die falschen bestraft werden und die korrekt arbeitende Mehrheit der Fahrer/innen darunter zu leiden hat.
3. Fairness
Wer den Newsletter vom 12.04.2012 gelesen hat, muss beim Lesen des letzten Abschnitts einen brennenden Schmerz auf einer Wange gespürt haben, ähnlich einem heftigen Schlag ins Gesicht. Der Taxi-Ruf gibt dort seiner Hoffnung Ausdruck, Zitat: „mit diesen Maßnahmen wieder mehr Fairness bei der Tourenvergabe zu erreichen.“ Und weiter heißt es: „Es ist schlicht unkollegial, für sich selbst den Anspruch zu stellen, nur attraktive und pflegeleichte Aufträge zu übernehmen, um das Risiko nach dem St.-Florians-Prinzip (s. unten) anderen zu überlassen.“
Diese zwei Sätze muss man auf der Zunge zergehen und auf sich wirken lassen. Und dann ist man ersteinmal sprachlos. Da spricht der Taxi-Ruf von Fairness bei der Tourenvergabe und von Unkollegialität. Das liest sich so sozial-engagiert und nach solidarischer Arbeitsweise, dass man fast glauben könnte, dass das ernst gemeint ist; wenn man es denn nicht besser wüsste !!!
Die Begriffe „Fairness“ und Taxi-Ruf sind ein Widerspruch in sich. Und das Wort „Unkollegialität“ sollte der Taxi-Ruf schon gar nicht benutzen.
Wo war die propagierte Fairness gegenüber den Fahrern/innen, als es um die Einführung der kostenpflichtigen Schulungsmodule ging ? Hat man uns nach unserer Meinung gefragt ? Hat man sich bemüht, mit uns zusammen eine sinnvolle und in Bezug auf Kollegen, die es wirklich nötig haben, zielgerichtete Weiter-bildungsmaßnahme zu erarbeiten ? Hat man vor der Verhängung der Sanktionen (Entzug des „Service-Taxi“-Status) den/die betreffenden Kollegen/innen gehört, wie es im Gestattungsvertrag steht ?
Leider können alle Fragen nur mit einem lauten Nein beantwortet werden. Und dieser Vorstand und Aufsichtsrat maßen sich an, den Begriff „Fairness“ für sich zu reklamieren und uns Unkollegialität vorzuwerfen !!
Was mit der Einführung der zweifelhaften Schulungen begonnen hat, setzt sich nun mit den verschärften Sanktionen bei der Funkvermittlung fort und verfolgt augenscheinlich das Ziel, die Fahrerschaft massiv unter Druck zu setzen und einzuschüchtern, um letztlich die eigenverantwortliche Arbeitsweise drastisch einzuschränken. Da passen die letzten zwei Sätze des Newsletters gut ins Bild. Dort wird zwar von einer gewissen Wahlfreiheit bzgl. des eigenen Dienstleistungsangebots gesprochen, aber im letzten Satz auch unverhohlen die beabsichtigte Einschränkung der persönlichen Wahlmöglichkeiten zum Ausdruck gebracht.
4. Quintessenz
In den obigen Abschnitten ist plausibel nachgewiesen worden,
Die eingeführten Änderungen der Sanktionsmaßnahmen sowie die oben genannten Punkte werden langfristig nicht zu einer Verbesserung des Klimas zwischen dem Taxi-Ruf und der Fahrerschaft beitragen sondern es ist vielmehr zu erwarten, dass die Qualität und die Bereitschaft zu einer umfassenden Dienstleistung zurückgehen werden. Darüber hinaus wird das Ansehen des Taxi-Ruf in der Öffentlichkeit aufgrund kritischer Berichterstattung in den Medien Schaden nehmen, wovon zwangsläufig der Wettbewerber profitieren wird.
Wer glaubt, Menschen nach Gutsherrenart behandeln zu können, die ihm nicht einmal unterstellt sind, und Macht demonstrieren zu müssen, hat den Zug der Zeit offensichtlich schon seit langem verlassen und dem sei gesagt: Die Zeit des Absolutismus und anderer Despotensysteme ist lange vorbei !
5. Forderung der IG Bremer Taxifahrer
Die IG Bremer Taxifahrer fordert den Taxi-Ruf Bremen auf, die am 11.04.2012 eingeführten Änderungen der Sanktionsmaßnahmen bei der Auftragsvermittlung umgehend und ersatzlos zurückzunehmen.
Darüber hinaus sollten die Verantwortlichen beim Taxi-Ruf sich darüber Gedanken machen, wie das nachhaltig beschädigte Vertrauensverhältnis zwischen dem Verein und der Fahrerschaft wieder hergestellt werden kann.
Dazu ist seitens des Taxi-Ruf allerdings ein konsequentes Umdenken in der Zusammenarbeit mit den Fahrer/-innen in Richtung auf einen partnerschaftlichen Umgang miteinander auf Augenhöhe erforderlich. Unser Ziel sollte sein, im Kundeninteresse wie im eigenen Interesse, eine für alle Seiten fruchtbare Zusammenarbeit anzustreben. Wohl gemerkt: zusammen und nicht gegeneinander !
Hans-Georg Enter
Mitglied im Vorstand
ANMERKUNG:
Die im obigen Text genannten Sperrfristen sind im Laufe des Jahres 2013 vom Vorstand des TR auf 5 - 30 Min. gekürzt worden; an der
grundsätzlichen Problematik ändert das jedoch nichts.
H.-G. Enter
Das Sankt-Florian-Prinzip (österreichisch: Floriani-Prinzip) oder die Sankt-Florian-Politik bezeichnet Verhaltensweisen, potentielle Bedrohungen oder Gefahrenlagen nicht zu lösen, sondern auf
andere zu verschieben.
Früher war es üblich, die Hilfe des Heiligen Florian anzurufen, der als Schutzpatron für die Abwendung von Feuer und Dürre zuständig ist. Volkstümliche Verbreitung fand ein vermeintlich frommer
Spruch, der vermutlich von einer ironisch gemeinten Votivtafel stammt und das Prinzip prägnant erläutert:
Heiliger Sankt Florian / Verschon' mein Haus / Zünd' andre an!
Oftmals findet sich der Heilige Florian als Lüftlmalerei auf Wohn-, Feuerwehr- oder Bauernhäusern. Meist wird er als überlebensgroße Gestalt abgebildet, die aus einem Eimer Wasser auf ein
brennendes Gebäude schüttet. Die Darstellung ist oftmals mit obigen Spruch untertitelt.